Gerhart Hauptmann: Sind wir Barbaren?

Uns Deutschen wurde erzählt, Deutschland hätte die alleinige Schuld am 1. Weltkrieg. Auch ich glaubte dies lange Zeit, doch ist das die Wahrheit? Der 1912 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet Gerhart Hauptmann war nicht nur ein großer Denker, er war auch Zeitzeuge und sah die Geschichte ein klein wenig anders.

Ich muss gestehen, der Krieg hat mich lange Zeit nicht wirklich interessiert. Ich war ignorant und desinteressiert, wie viele andere Deutsche auch. Das einzige, was ich glaubte zu wissen, war, das Deutschland beide Kriege verursacht und unsägliche Gräueltaten an anderen Völkern verübt hatte.

Hinterfragt hatte ich das nie, schließlich wird es in der Schule so gelehrt und auch in den zahlreichen TV-Dokumentationen wird klar gemacht, wer der Bösewicht in diesen Kriegen wirklich gewesen ist. Niemals sollen und dürfen wir vergessen, welche Gräueltaten unsere Vorfahren angerichtet haben. Keine andere Nation ist derart von Selbsthass zerfressen und in Schuld erstickt wie die Deutsche.

Um es vorab zu sagen, Krieg ist etwas Scheußliches, Krieg ist wahrlich barbarisch, Krieg tötet Unschuldige und lässt die Initiatoren von Kriegen unangetastet. Und während Unschuldige verrecken oder zu Invaliden werden, verdient sich eine kleine Clique ein goldene Nase. Krieg ist nicht nur ein blutiges Gemetzel, er ist ein Geschäft und zwar ein gigantisches Geschäft. Und ich sage es frei heraus: Die Initiatoren von Kriegen, egal welcher Nation sie angehören, sind perverse Massenmörder und Psychopathen ersten Ranges.

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit den beiden Weltkriegen, dabei bin ich auf Dokumente gestoßen, die die Geschichten, die man uns gebetsmühlenartig ins Hirn gepflanzt hat, in arge Bedrängnis bringen. Dokumente, die jeder finden kann, sofern er nur einen Funken Interesse an einer etwas anderen Geschichte hat, als derjenigen, die von den Siegern der beiden Weltkriege geschrieben und uns als die einzige Wahrheit verkauft wurde.

Ich werde hier nach und nach einige dieser Dokumente, die leider meist nur in Englisch vorliegen, auf deutsch veröffentlichen. Sie, verehrte Leser, sollen die Möglichkeit haben, auch die andere Seite zu hören. Audiator et altera pars, wie der Jurist zu sagen pflegt. Was sie mit diesen Geschichten anfangen, das überlasse ich Ihnen.

Nachfolgend Gerhard Hauptmanns Gedanken zum 1. Weltkrieg, der hier im Original gelesen werden kann.

Sind wir Barbaren? Von Gerhard Hauptmann

Der Gedanke der Weltoffenheit ist nirgends tiefer verwurzelt als in Deutschland. Jeder möge über unsere literarischen Übersetzungen nachdenken und dann eine Nation nennen, die so ehrlich wie wir versucht hat, dem Geist und den Gefühlen anderer Völker gerecht zu werden, ihre innerste Seele in allem Wohlwollen zu verstehen.

Ich muss damit heraus: Wir hatten und haben keinen Haß gegen Frankreich: Wir haben die schönen Künste, die Bildhauerei und Malerei und die Literatur dieses Landes vergöttert. Die weltweite Wertschätzung von Rodin hatte ihren Ursprung in Deutschland – wir schätzen Anatole France, Maupassant, Flaubert, Balzac, als wären sie deutsche Autoren. Wir haben eine tiefe Zuneigung zu den Menschen in Südfrankreich. Wir finden leidenschaftliche Mistral-Verehrer in deutschen Kleinstädten, in Gassen, auf Dachböden. Es war sehr bedauerlich, dass Deutschland und Frankreich politisch nicht befreundet sein konnten. Sie hätten es sein sollen, denn sie sind gemeinsame Verwalter der geistigen Schätze des Kontinents, weil sie zwei der großen kultivierten Nationen Europas sind. Aber das Schicksal hat es anders gewollt.

Im Jahr 1870 kämpften die deutschen Völker für die Vereinigung der Deutschen und das Deutsche Reich. Dank des Erfolgs dieses Kampfes genießt Deutschland seit mehr als vierzig Jahren eine Ära des Friedens. Eine Zeit des Knospens, des Wachsens, des Starkwerdens, des Blühens und des Fruchtbringens, die in der Geschichte ihresgleichen sucht. Aus einer immer zahlreicher werdenden Bevölkerung hat sich eine immer größere Zahl von Individuen herausgebildet. Individuelle Energie und eine allgemeine Tendenz zur Expansion führten zu den großen Errungenschaften unserer Industrie, unseres Handels und unseres Gewerbes. Ich glaube nicht, dass irgendein Amerikaner, Engländer, Franzose oder Italiener, wenn er in einer deutschen Familie, in deutschen Städten, in deutschen Hotels, auf deutschen Schiffen, in deutschen Konzerten, in deutschen Theatern, in Bayreuth, in deutschen Bibliotheken oder in deutschen Museen war, jemals das Gefühl hatte, unter „Barbaren“ zu sein. Wir besuchten andere Länder und hatten für jeden Fremden eine offene Tür.

Englische Beziehungen

Ich spreche das Wort England mit Schmerz und Bitterkeit aus. Ich gehöre zu jenen Barbaren, denen die englische Universität Oxford den Grad eines Doctor Honoris Causa verliehen hat. Ich habe Freunde in England, die mit einem Fuß auf dem geistigen Boden Deutschlands stehen. Haldane, der frühere englische Kriegsminister, und mit ihm zahllose andere Engländer, pilgerten regelmäßig in die kleine barbarische Stadt Weimar, wo die Barbaren Goethe, Schiller, Herder, Wieland und andere eine andere Welt für die Menschheit geschaffen haben. Wir haben einen Dichter, dessen Stücke, mehr als die jedes anderen deutschen Dichters, zum Nationaleigentum geworden sind; sein Name ist Shakespeare. Dieser Shakespeare ist zugleich der Fürst der englischen Dichter. Die Mutter unseres Kaisers ist eine Engländerin, die Gattin des Königs von England eine Deutsche, und doch hat uns diese bluts- und wahlverwandte Nation den Krieg erklärt. Warum? Das weiß nur der Himmel.

Soviel ist jedoch sicher, dass das nun beginnende, blutgetränkte europäische Konzert einen englischen Staatsmann als Impresario und Dirigenten hat. Es ist jedoch fraglich, ob das Finale dieser schrecklichen Musik denselben Dirigenten am Pult finden wird. „Mein Vetter, du hast es weder mit dir noch mit uns gut gemeint, als deine Werkzeuge den Feuerbrand in unsere Behausungen warfen!“

Wenn der Himmel will, dass wir aus dieser schrecklichen Prüfung regeneriert hervorgehen, so haben wir die heilige Pflicht, uns unserer Regeneration würdig zu erweisen. Durch den vollständigen Sieg der deutschen Waffen würde die Unabhängigkeit Europas gesichert werden. Es wäre notwendig, den verschiedenen Nationen Europas klar zu machen, dass dieser Krieg der letzte zwischen ihnen sein muss. Sie müssen endlich einsehen, dass ihre blutigen Duelle nur demjenigen einen schändlichen Vorteil bringen, der, ohne sich daran zu beteiligen, ihr Urheber ist. Dann müssen sie sich gemeinsam dem Werk der Zivilisation und des Friedens widmen, das dann Missverständnisse unmöglich machen wird.

In dieser Richtung war schon vor Kriegsbeginn viel getan worden. Die verschiedenen Nationen hatten sich bereits in friedlichem Wettstreit getroffen und sollten sich in Berlin zu den Olympischen Spielen wiedersehen. Man braucht nur an die Luft-, Boots- und Pferderennen zu erinnern, an den segensreichen internationalen Einfluss der Künste und Wissenschaften und an die großen übernationalen Nobelpreise. Das barbarische Deutschland hat bekanntlich mit seinen großartigen Institutionen für soziale Reformen den Weg unter den anderen Nationen geebnet.

Ein Sieg würde uns dazu verpflichten, auf diesem Weg weiterzugehen und die Segnungen solcher Einrichtungen zu verbreiten. Unser Sieg würde darüber hinaus die künftige Existenz der teutonischen Rasse für das Wohl der Welt sichern. Wie fruchtbar ist z.B. im letzten Jahrzehnt die skandinavische Literatur für die deutsche gewesen und umgekehrt die deutsche für die skandinavische. Wie viele Schweden, Norweger und Dänen haben in letzter Zeit, ohne sich eines Tropfens fremden Blutes bewußt zu sein, den deutschen Brüdern in Stockholm, Christiania, Kopenhagen, München, Wien und Berlin die Hand geschüttelt. Wie viel heimelige Kameradschaft hat sich um die edlen Namen Ibsen, Björnsen und Strindberg gebildet.

Faust und Gewehre

Ich höre, dass im Ausland eine enorme Anzahl von Lügengeschichten zum Schaden unserer Ehre, unserer Kultur und unserer Stärke fabriziert wird. Nun, diejenigen, die diese müßigen Geschichten erfinden, sollten bedenken, daß die bedeutsame Stunde nicht günstig für die Fiktion ist. An drei Grenzen legt unser eigenes Blut Zeugnis ab. Ich selbst habe zwei meiner Söhne ausgesandt. Alle unsere unerschrockenen deutschen Soldaten wissen, warum sie in den Krieg ziehen. Es gibt keine Analphabeten unter ihnen; umso mehr aber unter denen, die neben ihrem Gewehr ihren „Faust“ von Goethe, ihren „Zarathustra“, ein Werk von Schopenhauer, die Bibel oder ihren Homer im Tornister haben. Und auch die, die kein Buch im Tornister haben, wissen, dass sie für einen Herd kämpfen, an dem jeder Gast willkommen ist.

An der Grenze steht unser Blutzeugnis; der Sozialist neben dem Bourgeois, der Bauer neben dem Gelehrten, der Fürst neben dem Arbeiter; und sie alle kämpfen für die deutsche Freiheit, für das deutsche häusliche Leben, für die deutsche Kunst, die deutsche Wissenschaft, den deutschen Fortschritt; sie kämpfen mit dem vollen, klaren Bewußtsein eines edlen und reichen nationalen Besitzes, für innere und äußere Güter, die alle dem allgemeinen Fortschritt und der Entwicklung der Menschheit dienen.

Don't be shellfish...Share on Google+Share on LinkedInTweet about this on TwitterEmail this to someoneShare on Facebook