Der Feind in unserem Essen

Wer an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit leidet, hat nichts lachen. Die Fahndung nach den Übeltätern im Essen gleicht nicht selten der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Ein österreichisches Start-up will hier Abhilfe schaffen.

Bis zu fünf Prozent der Bevölkerung in Industrienationen leiden an einer Lebensmittelallergie. Diese überschießende Immunreaktion lässt sich leicht durch die Messung von IgE-Antikörpern im Blut diagnostizieren. Wie ein Blindflug gestaltet sich dagegen oft der Nachweis einer Nahrungsmittelunverträglichkeit, von der immer mehr Menschen betroffen sein wollen. Diese Unsicherheit spiegelt sich auch in den aktuellen Zahlen wider, je nach Quelle ist die Rede von 20 bis 60 Prozent Betroffenen.

Problem postmoderne Ernährung

Wie lässt sich diese Zunahme erklären, warum entwickeln immer mehr Menschen eine Hypersensitivität auf Nahrungsmittel, die sie ja eigentlich am Leben erhalten sollen? Auch wenn wir es nicht gerne hören, ein großer Teil der Produkte in unseren Supermärkten hat mit Lebensmitteln im ursprünglichen Sinne nicht mehr viel gemein.

Stark prozessiert mit hoher Kaloriendichte, angereichert mit biotechnologisch oder chemisch synthetisierten Nährstoffen, die auf Grund von Be- und Verarbeitung mehr oder weniger stark verloren gehen, und eine lange Liste von Zusatzstoffen, die Aroma, Konsistenz und Lagerfähigkeit verbessern sollen: mehr können viele industriell erzeugte Produkte leider nicht vorweisen.

Auch die Tatsache, dass Zusatzstoffe zugelassen werden, sich also einer Risikoabschätzung unterziehen müssen, sollte skeptisch machen. Weder kennt unser Organismus diese Stoffe noch sind ihre Wechselwirkungen untereinander hinreichend erforscht. Wer sich fast ausschließlich von derartigen Produkten ernährt und sie in großen Mengen verzehrt, sollte sich über eine Rebellion seines Darmes also nicht wundern.

Kiweno verspricht Abhilfe

Da die Symptome bei einer Nahrungsmittelunverträglichkeit, im Gegensatz zur Allergie, meist verzögert auftreten, stellt die Zuordnung zu einem bestimmten Nahrungsmittel eine echte Herausforderung dar. Das musste auch Bianca Gfrei schmerzlich erfahren. „Ich war lange von Magenbeschwerden geplagt und Ärzte konnten mir nicht helfen“, sagt die Kiweno-Geschäftsführerin, die deshalb 2014 gemeinsam mit dem Mediziner Roland Fuschelberger das Tiroler Start-up Kiweno gründete.

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Bianca Frei, Hansi Hansmann, Roland Fuschelberger und Rudi-Semrad. Quelle: Kiweno

„Wir wollen Menschen dazu befähigen, ihr Gesundheit endlich selbst in die Hand zu nehmen“, erklärt Gfrei, deren Geschäftsmodell bereits mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht wurde: Gewinn bei der „Post-Start-up-Challenge“, „Futurezone Award“, „Unternehmerinnen Award“ und schließlich die Wahl zum „Start-up des Jahre 2015“.

Alle Tests lassen sich bei Kiweno über eine Online-Plattform ordern und kommen per Post direkt ins Haus. Aus nur einem Tropfen Blut ermittelt ein zertifizierter Labor anschließend mit Hilfe eines ELISA-Testes (Enzyme-linked Immunosorbent Assay) eine mögliche Unverträglichkeit auf bis zu 70 Nahrungsmittel.

Messparameter ist die Menge an IgG4-Antikörpern, die auch nach dem Kontakt mit bestimmten Nahrungseiweißen entstehen. „Die verständlich aufbereiteten Ergebnisse können Nutzer wenig später online unter my.kiweno.com“ einsehen und erhalten zusätzlich Ernährungsempfehlungen und wertvolle Gesundheitstipps“, erklärt Damian Klingler, der für Kiweno den deutschen Markt etabliert.

Kritik an IgG-Reaktionen

Dass bei so viel Erfolg auch Kritiker nicht weit sind, ist klar. Kiweno untersucht in seinem Test „Nutrition“ Antikörper des Typs IgG4, die in höheren Konzentrationen eine Entzündungsreaktion auslösen können, welche innerhalb von sechs bis 72 Stunden nach dem Verzehr des unverträglichen Lebensmittels zu Beschwerden führen soll. Allergologen widersprechen dieser Aussage vehement, ihrer Meinung nach sind IgG-Reaktionen auf Lebensmittel lediglich Ausdruck für den Kontakt mit dem jeweiligen Lebensmittel.

IgG-Antikörper bei Nahrungsmittelunverträglichkeit erhöht

IgG-Antikörper. Quelle und Rechte: Lennart81 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3452023

Die Befürworter widersprechen, nicht die statt gefundene IgG-Reaktion, sondern die Höhe des Titers sei entscheidend, und da dieser von Verzehrmenge und Verzehrhäufigkeit abhinge, ließe er sich durch Karenz erniedrigen. Wer hat Recht?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir eine Blick in den Darm werfen, denn IgG-vermittelte Reaktionen auf Nahrungsmittel sind an einen Übertritt immunogen wirksamer Bestandteile aus der Nahrung ins Blut gekoppelt. Bei einem gesunden Darm ist ein solcher Übertritt in der Tat gering, so dass niedrige IgG-Titer wohl als physiologisch einzustufen sind. Anders sieht es im Falle einer geschädigten Darmschleimhaut wie dem Leaky Gut Syndrom aus, hier könnten weit mehr solcher Verbindungen ins Blut gelangen und hohe IgG-Titer scheinen diese Theorie zu bestätigen.

Kritik an den Kritikern
 ist angebracht

„Die Studienlage zu nahrungsmittelspezifischen IgG-Antikörpern entspricht noch nicht den Anforderungen der evidenzbasierten Medizin und ist damit abzulehnen“: So das Argument der Kritiker. Im Hinblick auf die Richtlinien einer evidenzbasierten Medizin gibt es bisher aber weder eine ausreichende Evidenz gegen noch für das Verfahren. Die Kritiker fordern also Etwas, was sie selbst nicht vorlegen können – hinreichende wissenschaftliche Daten. Der ablehnenden Haltung vieler Allergologen gegenüber der klinischen Bedeutung von IgG- bzw. IgG4-Nahrungsmittelantikörpern stehen eine wachsende Gruppe von Nutzern, überzeugende Resultate einer Karenz und immer mehr unvoreingenommene wissenschaftliche Veröffentlichungen gegenüber.

Klinische Relevanz

Die Existenz des Leaky Gut Syndroms und sein Beitrag zu erhöhten IgG-Titern und zahlreichen Erkrankungen sind heute wissenschaftlich anerkannt. Gleiches gilt für eine Beteiligung von IgG-Antikörpern an Nahrungsmittelunverträglichkeiten (Awazuhara et al. 1997, Raffen et al. 1989, Hvatum et al. 1992, Hofman 1995, Fasano 2012).

In der Praxis zeigen IgG-basierte Diäten bei Asthma, chronischen Kopfschmerzen, chronischen HNO-Problemen und chronischer Müdigkeit deutliche Verbesserungen der Symptome (Alpay et al. 2010, Bernardi et al. 2008, Dixon 2000, Hardman u. Hart 2007). Es gibt sogar Hinweise, dass frühkindlich erhöhte IgG-Reaktionen auf Nahrungsmittel das Risiko für spätere IgE-vermittelte Allergien erhöhen (Eysink et al. 1999, Eysink et al. 2002).

Dass die Interpretation solcher Befunde und die Umsetzung einer Nahrungsumstellung in die Hände von Experten gehören, steht dabei außer Frage. Allerdings darf die Frage erlaubt sein, weshalb sich viele Mediziner so vehement einer längst fälligen wissenschaftlichen Debatte entziehen? Die einseitige Berichterstattung zu IgG-Tests in vielen Medien zeugt nicht nur von Unwissenheit und Desinteresse, sie lässt auch den Verdacht aufkommen, dass subjektive Interessen und traditionelle Denkweisen eine rein wissenschaftliche Betrachtung absichtlich verhindern – zum Schaden einer wachsenden Zahl von Betroffenen.

Zusatzinfo: Antikörpervermittelte Reaktionen
Typ 1 (Soforttyp): vermittelt durch allergenspezifische IgE-Antikörper

Typ 2 (zytotoxischer Typ): vermittelt durch IgG- oder IgM-Antikörper

Typ 3 (Immunkomplextyp): vermittelt durch allergenspezifische IgG-Antikörper

Typ 4 (verzögerter Typ): vermittelt durch besondere Immunzellen (T-Lymphozyten) sowie deren Produkte (Zytokine)

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