Ja ja, die Milch macht’s

Hightechfaser aus verdorbener Milch

Die Hightechfaser aus verdorbener Milch

Mit Werbeslogans wie „die Milch macht’s“ oder „Milch macht müde Männer munter“ wird uns Milch schon lange als Powergetränk verkauft. Doch nun zeigt eine Mikrobiologin aus Deutschland, die Milch taugt auch zur Herstellung biologisch abbaubarer Textilfasern.

Gemeinsam mit dem Faserinstitut Bremen entwickelte Anke Domaske ein Verfahren, das Milchproteine in Hightech-Fasern verwandelt. Wie viele geniale Entdeckungen, ist auch die Kasein-Faser einem Zufall zu verdanken. Anke Domaske war bei ihrer Suche nach chemisch unbehandelter Kleidung für ihren an Krebs erkrankten Stiefvater auf Milchproteine gestoßen. Deren Potenzial habe sie sofort erkannt, sagt Domaske, die sich bewaffnet mit 200 Euro den Ausgangsstoff für ihre Idee im nächsten Supermarkt besorgte. In der heimischen Küche nahm die Idee Gestalt an, die gemeinsam mit dem Faserinstitut Bremen in ein vielversprechendes Geschäftsmodell verwandelt wurde.

Mit Hilfe des energiesparenden und einfachen Verfahrens entsteht aus nicht mehr verzehrsfähiger Milch in relativ kurzer Zeit die Bio-Milchfaser QMILK®. Heute ist die patentierte Faser intellektuelles Eigentum der im Jahr 2011 in Hannover gegründeten Qmilch GmbH, die 2014 mit der industriellen Produktion des Biopolymers begann.

Wie Kasein zu Fasern wird

Kaseine zählen zu den Phosphoproteinen und stellen mit 80 % die Hauptproteine der Milch. Kasein ist ein Gemisch aus αS1-, αS2-, β- und κ-Kasein, das in der Milch in Form von Kalziumsalzen vorliegt. Die negativ geladenen Kasein-Mizellen mit einem Durchmesser von 50-300 nm stoßen sich auf Grund ihrer negativen Ladung gegenseitig ab, so bleibt das Protein in der Milch gelöst. Wird die Milch durch Milchsäurebakterien sauer, kommen positive Ladungen hinzu, die Kasein-Mizellen aggregieren und fallen aus. Nicht mehr zum Verzehr geeignete sauere Milch eignet sich also perfekt zur Herstellung des Biopolymers. Doch gefälltes Kasein ist noch lange kein Biopolymer. Um daraus eine Hightechfaser zu machen, kommt ein in der Industrie als Extrusion bekanntes Verfahren zum Einsatz.

Dabei wird das Kasein bei einer Prozesstemperatur von unter 100° C durch speziell geformte Spinndüsen gepresst, wobei seine besonderen Eigenschaften erhalten bleiben. Die so entstehenden Fasern besitzen antibakteriellen Charakter, das prädestiniert sie für die Herstellung von Unterwäsche, Strümpfen und Sporttextilien. Im Gegensatz zu vielen konventionellen Kunstfasern benötigt die Kasein-Faser keinerlei Weichmacher.

Als Weichmacher ist zwar der Rohstoff Wasser erforderlich, allerdings ist der Bedarf eher gering und der Herstellungsprozess scheint recht effizient zu sein: 1 kg Kasein Biopolymer soll in nur 5 Minuten und dem Einsatz von maximal 2 Liter Wasser entstehen. Kosteneffizienz, geringere CO2-Emissionen als bei herkömmlichen Textilfasern, eine Herstellungsprozess frei von Abfällen – das so genannte „Gradle-to-Gradle“ Prinzip – und die vollständige Kompostierbarkeit sprechen also für die Milchfasern.

Lebensmittelverluste minimieren

Anke Domaske: Erfinderin der Hightechfaser Milch

Anke Domaske: Erfinderin der Hightechfaser aus Milch

Die Entdeckung könnte Schule machen, denn neben den offensichtlichen ökologischen und ökonomischen Vorteilen, besitzen die Fasern neben antibakteriellen Eigenschaften auch einen natürlichen UV-Schutz, lassen sich beliebig einfärben und für ganz verschiedene Anwendungen modifizieren.

Auch Lebensmittelverluste ließen sich durch das Verfahren verringern. Laut einer aktuellen Studie werden alleine in Deutschland jedes Jahr rund 1,9 Mio. Tonnen nicht mehr verzehrsfähige Milch entsorgt, obwohl diese noch zahlreiche wertvolle Inhaltsstoffe enthält. Die verdorbene Milch als Ausgangsmaterial für eine kostengünstige und biologisch abbaubare Biofaser zu nutzen, macht aus ökonomischer wie ökologischer Sicht Sinn. An der eigentlichen Herausforderung, der Logistik, arbeiten Domaske und ihr Team bereits mit Hochdruck. Mit einem intelligenten Sammelsystem wollen sie Erzeuger und Handel zum Mitmachen bewegen und so den Nachschub für ihre Produktion sicherstellen.

Es hagelt Auszeichnungen

Die Fachwelt hat das Potenzial der Milchproteinfaser QMILK® bereits erkannt und mit zahlreichen Auszeichnungen honoriert. Insgesamt 13 Preise und Ehrungen konnte das Unternehmen seit seiner Gründung einheimsen. Zuletzt ging der „Innovation Award Bio-based Material 2014“ an QMILK®. Eine besondere Ehrung wurde der Qmilch GmbH im Jahr 2011 zuteil – das Time Magazine kürte die Faser aus Milch zu einer der „50 Best Inventions 2011“. Als Gewinner des Nachwuchspreises “Innovatoren unter 35″ 2013 des renommierten Technology Review ging eine weitere internationale Auszeichnung an die deutsche Innovationsfaser.

Vielfältige Anwendungsbereiche

Die Einsatzmöglichkeiten für die neue Faser sind vielfältig, auch wenn die Vielfalt mit besonderen Herausforderungen an den Herstellungsprozess einhergeht. Ob Fasern für Bekleidung, für Heimtextilien oder gar technische Textilien – jedes Produkt erfordert einen exakt adaptierten Prozess. Da die Haptik der Milchfaser der von Seide ähnelt, eignen sich die Biopolymere aber vor allem für Textilien, die direkt auf der Haut getragen werden. Neben Unterwäsche, Strümpfen und Sportbekleidung ist hier auch Bettwäsche zu nennen. Darüber hinaus könnten die Kaseinfasern auch in der Medizintechnik Karriere machen.

Vor allem für Beschichtungen und Überzüge von Medizingeräten, die direkt mit dem Körper in Berührung kommen. Aktuell werden rund 1000 Tonnen Fasern jährlich produziert, doch Qmilch setzt auf Expansion. Klappt alles wie geplant, soll verdorbene Milch künftig nicht mehr auf dem Müll landen, sondern zu biologisch abbaubaren Textilfasern verarbeitet werden – eine echte „Win-Win“ Situation.

Interessenten können sich unter http://qmilk-collect.com/ informieren

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