Heilsbringer Bioökonomie?

Kann die Bioökonomie Wirtschaftswachstum und globale Verantwortung tatsächlich versöhnen, oder erliegen wir einer Illusion? Klar ist, konventionelles Wirtschaften ist nicht nur „oldfashioned“, sondern auch kurzsichtig, denn die Weltbevölkerung wächst, die Ressourcen schwinden und die Umweltprobleme wachsen uns langsam über den Kopf.

Was ist Bioökonomie?

Seit die OECD 2003 den Begriff Bioökonomie aus der Taufe gehoben hat, ist er in aller Munde. Foren, Workshops, Seminare und Start-ups schießen wie Pilze aus dem Boden.

Alle verfolgen das gleiche Ziel: Unter Nutzung der Biotechnologie, unsere Wirtschaft auf nachwachsende Rohstoffe umstellen.

Die Bioökonomie orientiert sich an den Stoffkreisläufen in der Natur und wird auch als effiziente Kreislaufwirtschaft bezeichnet. Wie in der Natur sollen alle biogenen Verbindungen – also auch Rest- und Abfallstoffe – genutzt und verwertet werden. 2010 erkannte die EU-Kommission das Potenzial und ließ die interdisziplinäre Querschnittstechnologie unter dem Begriff „knowledge-based Bioeconomy“ (KBBE) in eine EU-Bioökonomiestrategie einfließen.

Die Bioökonomiestrategie der EU. Quelle: Europäische Kommission

Die Bioökonomiestrategie der EU. Quelle: Europäische Kommission

Der deutsche Weg zur biobasierten Wirtschaft

Im gleichen Jahr gab die deutsche Regierung mit der „Nationalen Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ den Startschuss für einen Wandel in der deutschen Wirtschaft – weg vom fossilen Rohstoff Erdöl und hin zur verstärkten Nutzung biobasierter Stoffkreisläufe. Insgesamt 2,4 Milliarden Euro werden bis 2016 ressortübergreifend von vier Bundesministerien (BMBF, BMELV, BMZ, BMU) zur Förderung einer biobasierten Wirtschaft bereitgestellt. Der dickste Batzen – nämlich zwei Drittel des Fördervolumens – kommt aus dem Bundesforschungsministerium (BMBF), 28 Prozent steuert das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) bei.

Schlüsselrolle Ernährungsforschung

Gefördert werden Produkte, Technologien und Dienstleistungen, die von einer nachhaltigeren Agrarproduktion über sichere und gesunde Produkte im Lebensmittelsektor bis hin zu innovativen Ernährungskonzepten reichen. Auch kreative Ideen zur Nutzung von Biomasse für stofflich-industrielle und/oder energetische Zwecke werden finanziell gefördert. Fördergelder fließen aber auch in die Chemie, die Industrielle Biotechnologie, die Papier- und Textilindustrie sowie in den Umweltschutz. Mit einem Fördervolumen von 1,1 Milliarden Euro nimmt die Ernährungsforschung eine Schlüsselrolle in der deutschen Bioökonomiestrategie ein. Industrieprozesse sollen mit etwa 800 Millionen Euro Fördergeldern so weit wie möglich durch biobasierte Stoffkreisläufe ersetzt werden. Und etwas mehr als 500 Millionen Euro werden für die energetische Nutzung von Biomasse bereitgestellt.

Praktische Bioökonomie

Die Bioökonomiedatenbank zählt aktuell fast 100 geförderte Projekte aus allen Bereichen der Wirtschaft. So soll die Milch des russischen Löwenzahns künftig den Kautschuk in Winterreifen ersetzen und Mikroorganismen des Typs Lactobacillus Casei in einer neuartigen Zahncreme Karieserreger unschädlich machen. Das Polyamid des ersten Biodübels wird zu über 50 Prozent aus Rizinusöl hergestellt und ein innovativer, mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichneter Prozess ermöglicht den Einsatz von Proteinen der Blauen Süßlupine in der Lebensmittelherstellung.

Erstes Produkt am Markt: eine Lupinen-Eiscreme. Lupinenprotein hat aber noch mehr Potenzial, der tierische Fettanteil in Wurst lässt sich damit auf 5 Prozent reduzieren – wursttypische Textur und Geschmack bleiben dabei erhalten.

Unter dem Motto Made with Luve werden bereits zahlreiche vegane Produkte vermarktet. Quelle: madewithluve.de

Unter dem Motto Made with Luve werden bereits zahlreiche vegane Produkte vermarktet. Quelle: madewithluve.de

Das vom BMBF geförderte Kooperationsprojekt PlantsProFood schließt deutschlandweit zehn Unternehmen und vier Forschungseinrichtungen aus Mecklenburg-Vorpommern ein. Fördermittel des BMBF erhielt auch das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) für seine Biosprit-Idee. Die Samen der Kreuzblättrigen Wolfsmilch enthalten nicht nur 40-50 Prozent fettes Öl, der Milchsaft kann mit 8-12 Prozent Kohlenwasserstoffen wie den energiereichen Triterpenoiden aufwarten. Letztere sollen sich als Beimengung zu Biosprit eignen. Da die Pflanze auf kargen Böden wächst, ist auch die Gefahr einer Konkurrenz mit dem Teller gebannt.

2,4 Millionen Euro steckte das Bundeslandwirtschaftsministerium in den Forscherverbund im Biotechnologie-Cluster CLIB2012. Projektpartner BASF steuert 720.000 Euro für die Entwicklung innovativer Tenside bei, um die in Waschmitteln und Kosmetikprodukten gefragten waschaktiven Substanzen künftig nachhaltig mit Hilfe von Mikroben und Enzymen aus Palmkernöl zu produzieren. 

Mit 600.000 Euro förderte das BMBF das Projekt TRANS-BULB im Rahmen der Förderinitiative „Pflanzenbiotechnologie der Zukunft.“ Im Erbgut der Gerstenwildart Hordeum bulbosum fahnden Forscher der Ressortforschung sowie sechs deutsche Gerstenzüchtungsunternehmen nach bisher unbekannten Resistenzgenen.

Ihr Ziel: Die Gerste widerstandsfähiger und ihrer Züchtung nachhaltiger zu gestalten.

Weitere 60 Mio. Euro Fördermittel erhielten die fünf BioIndustrie2021-Cluster, die Wirtschaft steuert über 60 Mio. Euro bei und 30 Mio. Euro kommen aus anderen öffentlichen Förderprogrammen. Allein das Projekt „Neue Bacillus Expressionssysteme“ erhält auf drei Jahre 760.000 Euro. Mit den Mitteln soll Bacillus subtilis (Heubazillus) für die Produktion von in Lebensmittel- und Pharmaindustrie nachgefragten Proteinen und Enzymen fit gemacht werden. In einem Projekt gelang bereits die biochemische Herstellung des natürlichen Konservierungsstoffes trans-Zimtsäure aus der Aminosäure L-Phenylalanin.

Insgesamt 5,8 Mio. Euro entfielen auf den Forschungscluster „enable“, dessen Ziel die Entwicklung neuartige Produkte und Technologien für eine gesündere Ernährung in allen Lebensphasen ist. Vier bayerische Hochschulen (TUM, LMU, FAU, HSWT), das Helmholtz Zentrum München, das Fraunhofer IVV, die Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie, die Sine-Institut GmbH und das Kompetenzzentrum für Ernährung sind in enable involviert.

Wettbewerbsfähigkeit stärken

Neben einer möglichst nachhaltigen Effizienzsteigerung in der Wirtschaft, soll die Bioökonomie auch Wachstum und Beschäftigung sichern und die Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten zunehmender Globalisierung stärken. Die deutsche Regierung hat deshalb 2013 die „Nationale Politikstrategie Bioökonomie“ auf den Weg gebracht. Sie bringt die verschiedenen von der Bioökonomie betroffenen Politikfelder zusammen und gibt die Marschrichtung vor, so zumindest das offizielle Papier. Genannt werden die Industrie- und Energiepolitik, die Agrar-, Forst- und Fischereipolitik, die Klima- und Umweltpolitik sowie die Forschungs- und Entwicklungspolitik.

Kritik: Augenwischerei

Mit Kritik an der Bioökonomiestrategie spart Steffi Ober, Referentin für „Nachhaltige Forschungspolitik“ beim Naturschutzbund (NABU) und Leiterin der „Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende“ nicht. In einem Interview stellt sie die provokante Frage, woher die nötige Biomasse für all’ die schönen nachhaltigen Dinge denn kommen soll. An die Mär der Bundesregierung, von biologischen Abfällen und Reststoffen für Industrieprodukte und nachhaltige Energie, glaubt Ober nicht, sondern sieht eher das Problem „Konkurrenz mit dem Teller.“ Selbst optimierte Erträge wären nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, meint Ober, weil die EU bereits ohne Umstellung auf biobasierte Wirtschaft eine Importfläche von 30 Prozent besitzt.

Diese wird zusätzlich zur eigenen landwirtschaftlichen Nutzfläche vor allem für unseren Fleischhunger und die importierte Bioenergie benötigt. Auch eine vollständig biobasierte Chemieindustrie scheint angesichts der aktuellen Zahlen wenig wahrscheinlich. Nur etwa 13 Prozent der chemischen Ausgangssubstanzen basieren aktuell auf Biomasse, 87 Prozent macht noch immer Erdöl aus. Dass sich eine derartige Menge Biomasse auf dem Acker produzieren lässt, bezweifelt auch eine Studie des Thünen-Instituts.



Öffentlichkeit außen vor!

Ein weiteres Manko ist der Ausschluss weiter Teile der Öffentlichkeit. Ein aktuelles Papier des NABU bemängelt das geringe Kontroll- und Mitspracherecht des Bundestages und die überwiegend industrienahen Experten im Bioökonomierat. 2009 bis 2012 saßen dort BASF, Dow Chemical, KWS und der Deutsche Bauernverband. Seit 2012 sei die Besetzung von wissenschaftlicher Seite zwar gemischter, meint Ober, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und landwirtschaftlichen Anbauverbände seien aber nach wie vor außen vor.

Hier geht es zur Bioökonomie-Strategie der Dt. Bundesregierung.
Hier finden Sie die Politikstrategie der Dt. Bundesregierung.

Demnächst findet an der LfL in Freising bei München ein vom BMBF geförderter Bioökonomie Workshop statt. Sie haben eine innovative Idee und wissen nicht genau ob und wie Sie diese umsetzen können? Dann sind Sie beim Ideen-Workshop ProWert, ausgerichtet vom Kompetenzzentrum für Ernährung in Freising, genau richtig. Informationen zu Termin und Anmeldung gibt es auf der Webseite des Kompetenzzentrums für Ernährung. Der Workshop dauert zwei Tage und ist für alle Teilnehmer kostenlos!

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