Die süße Rache der Fructose

Kaum ein Fertigprodukt ohne Fructose, eine Überdosierung mit Folgen, nicht nur für unsere Gesellschaft. Lesen sie, warum uns zu viel Fructose krank machen kann.

Der Endokrinologe Robert Lustig hält eine Tasse mit der Aufschrift "No sugar please".

Der Endokrinologe Robert Lustig verzichtet gerne auf Zucker im Kaffee. Quelle: Robert Lustig


„Weniger essen, mehr bewegen“, so lautet das Dogma gegen Übergewicht und Adipositas. Softdrink- und Lebensmittelmultis wiederholen gebetsmühlenartig: Kalorie ist gleich Kalorie. Doch seit Robert Lustig diesem zynischen Dogma den Kampf angesagt hat, bröckelt die Fassade und entblößt einen Akteur, den lange Niemand auf dem Schirm hatte – Fructose. In Früchten und in Maßen genossen ist Fruchtzucker unproblematisch. Doch von Umsatzrenditen getriebene multinationale Konzerne haben den Zucker als Tausendsassa für Lebensmittel aller Art erkannt und dabei den unscheinbaren Stoff in eine tickende Zeitbombe verwandelt.

Die Fructosifizierung

1975 erreichte der erstmals in Japan hergestellte High Fructose Corn Syrup (HFCS) – eine Mischung aus Glucose und Fructose – die USA, und weil er sich billig herstellen ließ, verdrängte er nicht nur den Haushaltszucker aus immer mehr Lebensmitteln, sondern entpuppte sich als billiger Füllstoff für jede Art von Fertigprodukt. In Form von Softdrinks und Fast Food hat Zucker bereits die halbe Welt erobert, mit unübersehbaren Folgen: Fettleibigkeit und damit einhergehende Erkrankungen stehen heute ganz oben auf der Krankheitsliste. Ganz nebenbei nagt der wachsende Zuckerkonsum an der Stabilität der globalen Gesundheitssysteme, wie die Kostenlawinen der Krankenkassen in den westlichen Ländern bestätigen. Lustig geht davon aus, dass Medicare, die Krankenversicherung der meisten Amerikaner, 2024 unter der Bürde der Zuckergeschädigten zusammenbrechen wird.

Ein „gewichtiges“ Problem

Auch weltweit sieht es nicht gut aus: Laut einer Studie des Institutes for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der Universität von Washington sind rund 2,1 Milliarden Menschen – das sind fast 30 % der Weltbevölkerung – übergewichtig oder adipös. Ein Problem, das uns alle angeht. Denn zu viel Zucker macht sich nicht nur auf der Waage bemerkbar, er lässt auch die Prävalenzen für Typ 2 Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Kardiovaskuläre Erkrankungen, Demenz und sogar Krebs in die Höhe schnellen und gefährdet so Volksgesundheit und Sozialstaat. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es 2014 weltweit etwa 422 Millionen erwachsene Diabetiker – im Vergleich mit 1980 fast eine Verdopplung. Die jährlichen Behandlungskosten für Diabetes belaufen sich auf mehr als 286 Milliarden Dollar, für 2025 werden 396 Milliarden prognostiziert. Wie konnten wir trotz einer Flut von Light- und cholesterinfreien Produkten so dick, und vor allem, so krank werden?

Politik verschließt die Augen

Die hochprozessierten Lebensmittel, die erst befreit von Fett und Ballaststoffen ihren Siegeszug um die Welt antreten konnten, wären das eigentliche Problem, meint auch Lustig. Denn Einfrieren und langes Lagern gelängen nur ohne Ballaststoffe und Fette gut. Und da derart veränderte Lebensmittel weitgehend geschmacklos sind, musste ein billiger Geschmacksträger her, der mit dem spottbilligen Glucose-Fructose-Sirup schnell gefunden war. Das Problem, so Lustig, ohne Ballaststoffe wird Zucker im Darm vollständig resorbiert: ein Desaster. „Wir haben eine Adipositas-Epidemie bei sechs Monate alten Kindern“, erläutert der Kinderarzt und Endokrinologe aus San Francisco und geht mit Politik und Regulierungsbehörden hart ins Gericht. Diese würden, trotz ausreichender Evidenz, bis heute die Augen verschließen. Das Fazit des charismatischen Mediziners: Die westliche Ernährung krankt an einer Fructose-Überdosierung, und da eine zuckerreiche Ernährung eigentlich eine fettreiche Ernährung sei, wäre Kalorie eben nicht gleich Kalorie. Dass Lustig richtig liegt, zeigt ein kritischer Blick in Zutatenlisten und Fructosestoffwechsel.

Kalorie ist nicht gleich Kalorie

Im Gegensatz zu Glucose, hat Fructose im Körper kein Funktion und wird ähnlich dem Alkohol in der Leber entgiftet. Von 120 Kalorien Zucker (Glucose und Fructose 1:1) landen also die 60 Kalorien der Fructose direkt in der Leber, während dies im Falle von Glucose lediglich 12 Kalorien sind, die restlichen 48 werden durch Insulin in die Körperzellen transportiert. Glucose und Fructose sind zwar isokalorisch, nicht jedoch isometabolisch: und genau hier liegt der Knackpunkt. Denn die Zuckerflut aus Pizzen, Burgern, Brot, Ketchup, Dip-Soßen und Softdrinks landet geballt in der Leber, wo sie unter Verbrauch von ATP zu Fructose-1-Phosphat umgewandelt wird. Das zurückbleibende AMP wird mit Hilfe des Enzyms AMP-Desaminase I zu Harnsäure, einem Risikofaktor für Gicht.


Mehr als sieben Millionen Menschen haben das Video des Endokrinologen Robert Lustig von der Universität Kalifornien in San Francisco bisher angesehen. Quelle: YouTube

Fructose wird zu Fett und erhöht den Blutdruck

Und weil Harnsäure in der Leber auch das Enzym Endotheliale Nitrooxid-Synthase blockiert, welches in den Blutgefäßen den endogenen Blutdrucksenker NO synthetisiert, kann ein Zuviel an Fructose auch Bluthochdruck fördern. Das erkläre auch die Bluthochdruck-Epidemie in den USA, meint Lustig. Zudem entsteht Fructose-1,6-bis-Phosphat, das gemeinsam mit Glycerinaldehyd zu Xylulose-5-Phosphat wird und eine Verbindung mit Namen PP2A stimuliert. PP2A aktiviert ChREBP (Carbohydrate-Response-Element Binding-Protein), das an der Lipogenese in der Leber beteiligt ist. Abbauprodukte der Fructose werden in den Mitochondrien der Leberzellen zu Pyruvat und Citrat, wobei letzteres die Mitochondrien verlässt und in Fett (VLDL = Very Low Density Lipoprotein) umwandelt wird. Der größte Teil des VLDLs gelangt so in die Fettzellen. „Wenn wir Fructose konsumieren, essen wir also kein Kohlenhydrat, sondern Fett und dies erklärt, weshalb wir trotz fettfreier Produkte und Diäten aller Art immer dicker werden“, sagt Lustig. Und der Teil des Fettes, der in der Leber bleibt, trägt auch noch zur Entstehung einer Fettleber bei.

Endstation Stoffwechselentgleisung

Doch das ist noch nicht alles. Fructose aktiviert auch ein Enzym mit Namen JNK1, das nicht nur Entzündungsprozesse anstößt, sondern auch das Enzym IRS-1 an der Aminosäure Serin phosphoryliert, wodurch dieses seine Funktion einbüßt. Folge ist eine hepatische Insulinresistenz. Schließlich nisten sich freie Fettsäuren aus der Leber in den Muskeln ein und begünstigen auch dort eine Insulinresistenz. Ein Teufelskreis, der zu einer gesteigerten Insulinproduktion im Pankreas und damit zu noch mehr Fettsynthese und weiterem Gewichtsanstieg beiträgt.

Der Dolchstoß erfolgt schließlich durch die Blockade des Sättigungssignals: Der hohe Insulinspiegel unterbindet das Signal des Fetthormons Leptin ins Gehirn, so dass dieses glaubt zu hungern, was Betroffene immer weiter essen lässt. Wer sich also primär von Fertigprodukten ernähre und Softdrinks als Durstlöscher ansehe, werde diesem Teufelskreis nicht entkommen, argumentiert Lustig. Und weil von der globalen Politik – trotz ausreichender Evidenz – kurzfristig keine Hilfe zu erwarten ist, bleibt hier nur ein Rat: „Esst Echtes Essen“.

Referenzen und Zahlen
Global, regional, and national prevalence of overweight and obesity in children and adults during 1980–2013: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2013
Obesity Update – OECD 2014
International Diabetes Federation (IDF) – IDF Diabetes Atlas 2015
WHO Fact Sheet: Obesity and Overweight (Update 2016)
WHO – Global Report on Diabetes 2016
sugarscience.org und responsiblefoods.com

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