Biotechnologie verdrängt Chemie

Kaum eine Wissenschaft hat unsere Welt nachhaltiger verändert als die Lehre von den Stoffumwandlungen. Noch immer zählt die Chemie zu den bedeutendsten Industriezweigen der Welt, doch die industrielle Biotechnologie rüttelt an ihren Grundfesten.

LanzaTech Demo-Fabrik in Shanghai

LanzaTech Demo-Fabrik in Shanghai. Copyright: LanzaTech

Für zahlreiche relevante Substanzen scheint der Metabolismus von Bakterien, Hefen und Pilzen eine passende Antwort parat zu haben. Die Fortschritte in der Genetik und der Molekularbiologie haben der Biotechnologie ähnliche Produktionskapazitäten wie in der Chemie ermöglicht. Steht in absehbarer Zeit die Substitution der Chemie durch die Biotechnologie an? Fakt ist: zahlreiche Unternehmen arbeiten an nachhaltigen Technologien, von denen uns einige Antworten auf die drängendsten Probleme unserer Gesellschaft versprechen. Wer sind diese Umstürzler? Wir haben uns auf die Suche gemacht – und wurden fündig.

Zellfabriken anstelle von chemische Fabriken

„Global Player“ Novozymes schwärmt von RIBOSELECT™ – der Hochdurchsatz-Enzym-Screening-Technologie des 2012 gegründeten dänischen Start-ups Biosyntia. Mit RIBOSELECT™ wollen Hans Jasper Genee, der Teile der Technologie im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelt hat, und sein Team nicht weniger, als die Produktion chemischer Substanzen von Grund auf verändern und das mit Hilfe der Biotechnologie.

Zellfabriken anstelle von chemischen Fabriken, entwickelt und optimiert mittels RIBOSELECT™, sollen den Wandel initiieren. Glaubt man Mitbegründer Genee, lassen sich mit den als Zellfabriken bezeichneten Mikroorganismen auf Basis von E. Coli und Hefen viele bisher traditionell-chemisch hergestellte Substanzen produzieren – von Nahrungsmittelinhaltsstoffen über Farb-, Duft- und Aromastoffe bis hin zu Pharmazeutika.

RIBOSELECT™ beruht auf dem Prinzip der positiven Selektion. Das Wachstum der als Zellfabriken genutzten Mikroorganismen wird dabei an die Anwesenheit der gewünschten Substanz gekoppelt. Nur wenn diese vorhanden ist, sorgen spezielle Biosensoren in der Zelle für das Überleben der Zellfabriken. Zwar dauert die Konstruktion einer solchen Zellfabrik für eine gewünschte Substanz – inklusive passender Biosensoren und den nötigen Stoffwechselwegen – etwa ein Jahr, sagt Genee, doch die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen. Die Technologie, die konkurrenzfähige Mengen liefern und hat kaum negative Folgen für die Umwelt besitzen soll, ist zudem bis zu 80 % günstiger als konventionelle Prozesse.

Ciao Plastikmanie

Synthetische Kunststoffe sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Biosphäre unseres Planeten. Vor allem die im Kunststoff vorhandenen Weichmacher – von Phtalat bis Nonylphenol – sind eine Gefahr für das Hormonsystem von Lebewesen. Auf Grund ihres östrogenähnlichen Charakters werden sie als endokrine Disruptoren bezeichnet, da sie den Hormonhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen. Der Kampf gegen die Plastikflut wird heute an vielen Fronten geführt und aktuelle Marktprognosen bestätigen auch das ökonomische Potenzial nachhaltiger Alternativen. 2014 wurden in der EU 1,4 Mio. Tonnen Bioplastik nachgefragt, 2017 sollen es schon 6,0 Mio. Tonnen sein.

Auch Bio-on aus Italien hat dazu ein interessantes Konzept entwickelt. „Wir haben eine Mission sagt Marco Astorri, CEO und Mitbegründer von Bio-on, und die heißt: mittels Biotechnologie zu 100 % natürliche Produkte basierend auf erneuerbaren Ressourcen oder landwirtschaftlichen Abfallstoffen zu produzieren.“ Bei Bioplastik scheint das bereits gelungen, aktuell arbeiten die Gewinner des „EuropeBio Most innovative European Biotech SME Award 2014“ mit Hochdruck an der Skalierung ihres patentierten Fermentationsprozesses zur mikrobiellen Herstellung von biodegradierbarem Plastik.

Die Italiener setzen dabei auf natürliche Reservestoffe spezieller Bakterien – Polyhydroxyfettsäuren, kurz PHA – die im Rahmen der Gärung entstehen. Das geniale an den linearen Polyestern: sie sind in Erde und Wasser zu 100 % biodegradierbar und der nachhaltige Prozess konkurriert nicht mit dem Teller, da die Bakterien in Zückerrübensaft aus landwirtschaftlichen Abfällen wachsen. Durch die Kombination verschiedener Mengen an PHA-Monomeren entstehen ganz unterschiedliche Eigenschaften, so dass sich wichtige synthetische Kunsstoffe wie PET, PE und PP durch die nachhaltigen Polyester ganz einfach ersetzen lassen sollen.

Uralt, aber kein bißchen altmodisch

Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: ein Ziel, das LanzaTech mit einer der ältesten Lebensformen auf unserem Planeten verfolgt – gasfermendierenden Bakterien. Das 2005 in Neuseeland gegründete und in den USA beheimatete Unternehmen rühmt sich, den Schlüssel zur Reduktion von CO2-Emissionen in Händen zu halten und wurde 2015 zur Nr. 1 der 50 „Hottest Companies in Bioenergy“ gekürt. Kohlenstoffhaltige Gase (CO, CO2, H2, H2S, CH4) sind nämlich das Leibgericht der spezialisierten Acetogene, die im Rahmen der Vergärung daraus wertvolle Substanzen wie Biotreibstoff, diverse Chemikalien und sogar Nahrungsmittelbestandteile synthetisieren können.

In einer Pilotanlage wird gerade die Ausbeute optimiert. „Wir kommerzialisieren eine Technologie, die Kohlenstoffabfälle in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen wird“, betont CEO Jennifer Holmgren. Holmgren ist überzeugt, auch für die wachsende Weltbevölkerung haben Mikroben passende Lösungen parat, eine davon wird bei LanzaTech gerade optimiert. Zusammen mit dem IOC-DBT Center for Advanced Bio-Energy Research wurde ein mikrobieller Prozess etabliert, der CO2 in Omega-3-reiche Fettsäuren konvertiert. Eine Kooperation zwischen einer von LanzaTech adaptierten Mikrobe und einer Alge macht’s möglich – letztere verwandelt dabei bakterielles Acetat aus dem Stoffwechsel des Acetogens in essentielle Fettsäuren.

Dass Potenzial der industriellen Biotechnologie hat auch die EU erkannt. Zwischen 2014 und 2024 sollen 3,7 Mrd. EUR in nachhaltige, biobasierte Produkte und die Etablierung eines konkurrenzfähigen Umfeldes gepumpt werden. Auch aktuelle Marktprognosen sind vom Vorstoß der neuen Technologien überzeugt. Nach einem Marktvolumen von 28 Mrd. EUR in 2013, werden für 2020 41 Mrd. EUR und für 2030 bereits 52 Mrd. EUR erwartet. Folgt dem prognostizierten Aufstieg der Mikroben bald der Abstieg der Chemie? Ganz ausgeschlossen ist es nicht.

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