Hochleistungsmaterial Spinnenseide

Extrem dehnbar, enorm reißfest, von hoher Zugkraft, gleichzeitig biologisch abbaubar, biokompatibel und resistent gegen Chemikalien und Temperatur – das neue Hochleistungsmaterial heißt Spinnenseide.

Elektronenmiskroskopische Aufnahme der Seide einer Gartenkreuzspinne

Seide einer Gartenkreuzspinne unter dem Elektronenmikroskop. Copyright: Thomas Scheibel

Sie ist so alt wie unser Planet, doch erst seit Darwin wissen wir, die Vielfalt auf unserer Erde wie auch unsere eigene Existenz verdanken wir der Evolution. Dass natürliche Prozesse zu den Effizientesten auf unserer Erde zählen, ist angesichts dieses Zeitraumes nicht verwunderlich. Mit der Bionik widmet sich ein ganzer Forschungszweig den faszinierenden Prozessen der Natur, die ganz neue Produkte mit innovativen Eigenschaften hervorbringen.

Forscher aus aller Welt sind deshalb schon seit geraumer Zeit der Spinne auf den Fersen, um ihr das Geheimnis ihres Wunderfadens zu entlocken. Nicht nur die Eigenschaften der Spinnenseide können mit denen synthetischer Polymere konkurrieren, auch der Herstellungsprozess ist mehr als konkurrenzfähig. Während moderne Kunststoffe meist unter Einsatz von Lösungsmitteln, Druck und Temperatur hergestellt werden, produziert die Spinne ihr Hochleistungspolymer umweltfreundlich, unter Normalbedingungen in wässriger Lösung.

Bis zu sieben verschiedene Fäden

Die bis zu sieben verschiedenen Fäden werden aus den beweglichen Spinnwarzen der Tiere abgesondert und dienen dem Netzbau, dem Einwickeln der Beute oder dem Abseilen. Von transgenen Ziegen, die Spinnenseide in ihrer Milch herstellten, bis zur Spinnenzüchtung, was am Kannibalismus der Tiere scheiterte, blieb keine Idee des Spinnenfadens habhaft zu werden unversucht. Von den vielen Misserfolgen ließ sich Thomas Scheibel, der heute an der Universität in Bayreuth forscht, nicht entmutigen und schaffte schließlich, woran sich Generationen von Forschern die Zähne ausbissen, die großtechnische Herstellung von Spinnenproteinen sowie einen Prozess zur Herstellung des Seidenfadens zu etablieren.

Extreme Eigenschaften

Ein Blick auf die ungewöhnlichen und gegensätzlichen Eigenschaften der Spinnenseide erklärt, weshalb Forscher seit langem ihrer habhaft werden wollen. Von den weltweit über 35.000 bekannten Spinnenarten ist die Seide der Goldenen Radnetzspinne am besten erforscht. Die Meisterin der Spinnen verfügt über das stärkste Netz, das mit einer Spannweite von bis zu 2 Metern sogar kleine Vögel fängt. Die Zugfestigkeit von Spinnenseide, also die Kraft pro Fläche, bei der ein Material zerreißt, liegt bei etwa 1 GPa.

Ein Seil von 1 cm Durchmesser würde bei identischer Zugkraft erst bei einem Gewicht von acht Tonnen zerreißen. Was Spinnenseide sogar Stahl überlegen macht, ist die gleichzeitig starke reversible Dehnbarkeit, die bei 20 bis 30 Prozent der ursprünglichen Länge liegt. Spinnenseide besitzt eine extrem hohe Zähigkeit, kann also besonders hohe kinetische Energien auffangen ohne zu zerreißen. Thermisch und chemisch ist Spinnenseide über weite Bereiche relativ stabil, erst oberhalb von 200 Grad Celsius zersetzt sie sich merklich.

Biologisch abbaubar, aber mikrobiologisch inert

Obwohl als Protein vollständig biologisch abbaubar, hält Spinnenseide mikrobiologischen Angriffen stand und ist wasserunlöslich. Gleichzeitig besitzt sie ein ähnlich hohes Wasserbindungsvermögen wie Wolle, ist dazu extrem leicht und biokompatibel. Diese so widersprüchlichen Eigenschaften vereint in einem Material, machen Spinnenseide zum Objekt der Begierde für Produkte aus allen Branchen. Das weltweite Umsatzpotenzial innovativer Produkte aus Spinnenseide geht wohl in die Milliarden, auch deshalb versuchen Firmen auf der ganzen Welt schon seit den achtziger Jahren das Geheimnis der Spinne zu entschlüsseln, bis vor kurzem allerdings mit nur mäßigem Erfolg.

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