Gehirn unter Strom!

Schwacher Gleichstrom soll Schmerzen und Depressionen lindern, Stress, Müdigkeit und schlechte Laune vertreiben, das Gedächtnis verbessern und sogar der Lernleistung auf die Sprünge helfen.

Sind Stimmungsaufheller und Beruhigungsmittel bald ein alter Hut? Werden wir stattdessen unser Gehirn mit elektrischem Strom traktieren? Kein so abwegiger Gedanke, wie erste Forschungsergebnisse zeigen.

Geflügeltes Gehirn

Leistungssteigerung durch Strom

Egal ob wir denken, fühlen, lernen oder uns erinnern, Grundlage jeglicher Informationsverarbeitung im Gehirn sind physikalische und chemische Prozesse. Die Kommunikation zwischen den Neuronen erfolgt über Neurotransmitter – chemische Botenstoffe, die an den Synapsen ausgetauscht werden. Die Signalverarbeitung innerhalb einer Nervenzelle übernehmen elektrische Prozesse, die membranständige Ionenkanäle steuern und so die Verteilung geladener Partikel innerhalb und außerhalb der Zelle bestimmen.

In Ruhe liegt das Membranpotenzial einer Nervenzelle bei etwa -75 mV – die Innenseite ist negativ, die Außenseite positiv geladen. Wird die Zelle erregt, entsteht am Axonhügel ein Aktionspotenzial. Natriumkanäle in der Zellmembran öffnen sich und positiv geladene Natrium-Ionen strömen in das Zellinnere. Bei etwa +30 mV wird die Nervenzelle schließlich depolarisiert. Bei abnehmender Erregung werden Natrium-Ionen wieder aus der Zelle gedrückt, das Membranpotenzial sinkt und das Ruhepotenzial kehrt zurück. Diesen elektrischen Prozess wollen Forscher nun mit Gleichstrom von außen beeinflussen und so unser Denken und Fühlen verändern.

Frankenstein lässt grüßen

Die Idee, Nervenzellen mit Strom zu stimulieren ist kein Phänomen der Neuzeit – erste Versuche reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert. Der Italiener Luigi Galvani entdeckte damals durch Zufall, dass sich Froschschenkel beim Kontakt mit verschiedenen Metallen zusammenziehen. Heute darf dieses Experiment in keinem Biologieunterricht fehlen und die britische Schriftstellerin Mary Shelley wurde angeblich erst durch Giovanni Aldinis Versuche mit Hingerichteten und Strom zu ihrem Bestseller „Frankenstein“ inspiriert.

Kaum mehr als ein Kopfkribbeln

Schwache elektrische Felder von nur einigen Volt pro Meter können Neurone beeinflussen, dabei soll bei einer äußeren Spannung von ca. 10 Volt und einer Stromstärke von einem Milliampere nicht viel mehr als ein leichtes Kribbeln auf der Kopfhaut zu spüren sein. Ein geeignetes nicht-invasives Verfahren ist die „transkranielle Gleichstromstimulation“ – kurz tDCS (englisch: transcranial direct current stimulation).

In Abhängigkeit von der Stromrichtung können schwache Gleichströme die Schwelle zum Auslösen eines Aktionspotenzials entweder herauf- oder herabsetzen und so indirekt die Feuerungsrate von Nervenzellen beeinflussen. Ob sich damit unser Denken beeinflussen lässt ist strittig, denn der Denkprozess scheint auf einer Summation sämtlicher Erregungszustände des Gehirns zu basieren.

Strom gegen Schmerzen und Depression

Bei verschiedenen Erkrankungen, die mit einem Aktivierungsdefizit oder -überschuss in einer bestimmten Hirnregion einhergehen, zeigen Studien aber durchaus positive Effekte. So liegt beispielsweise bei der Depression nicht selten eine Funktionsschwäche im linken Stirnhirn vor und diese lässt sich wohl durch Aktivierung mittels tDCS normalisieren. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat deshalb die Stimulation mit Strom zur Behandlung hartnäckiger Depressionen als Therapieoption zugelassen. Auch bei chronischen Schmerzen könnte eine Erhöhung der Aktivität im motorischen Kortex die Schmerzwahrnehmung unterdrücken. Zuversichtlich sind Mediziner auch wenn es um die Stärkung der Restfunktionen geschädigter Hirnareale beim Schlaganfall geht.

Hirndoping in Sicht

Nicht verwunderlich ist, dass die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums (DARPA) schon seit Jahren in die Optimierung der Technik investiert. Mit einer Dosis Strom wird Soldaten bei der Steuerung von Drohnen die Müdigkeit vertrieben und ganz nebenbei die Reaktionsgeschwindigkeit verbessert. Dass dies funktioniert, zeigt eine Präsentation auf dem Jahrestreffen der Society for Neuroscience.

Die von Andy McKinley (Air Force Research Laboratory) vorgestellten Daten könnten dem Hirndoping Vorschub leisten, denn eine Stimulation mit schwachem Gleichstrom führte bei Piloten zu einer signifikant besseren Lernkurve. Die Aufmerksamkeitsspanne ließ sich von 20 auf 40 Minuten verdoppeln. Damit ist der kognitive Boost durch tDCS, mit keiner der üblichen Stimulantien vergleichbar, referiert McKinley.

Die Antwort auf Kaffee und Schlaftabletten

Isy Goldwasser und Jamie Tyler, Thync

Die beiden Thync Gründer versprechen uns Stimulanz und Beruhigung durch Vibes

Dass bei so viel Euphorie auch die Industrie Geschmack daran gefunden hat, unserem Denkvermögen auf die Sprünge zu helfen, ist logisch.

Das Unternehmen Thync hat mit seinem gleichnamigen Medizinprodukt eine Konsumervariante der tDCS entwickelt, die beruhigende oder energetische Schwingungen auf Knopfdruck verspricht. Das Marketingkonzept hat es in sich: Die Tech-Antwort auf Kaffee und Schlaftabletten verspricht Gefühle wie nach einer entspannenden Nackenmassage oder einer eiskalten Dusche. Für 299 USD kann sich Jeder Thync ins Haus holen und die als „Vibes“ bezeichneten Schwingungen, die auf das Gehirn erregend oder dämpfend wirken, zur Steigerung seines Wohlbefindens nutzen.

Erzeugt werden die Vibes durch einen patentierten Algorithmus, steuern lassen sie sich über eine App. Auch die Anwendung ist denkbar einfach: Ein fein geschwungenes weißes Kunststoffteil wird mit einer Stromquelle verbunden und über der Augenbraue platziert, mit der App auf dem Smartphone wählt man die entsprechenden Vibes und drückt den Startknopf. Nach 15 Minuten ist alles vorbei. Auch wenn Thync an renommierten Institutionen wie der Harvard University, dem MIT, der Standford University und der Arizona State University entwickelt wurde, seine Wirkung ist umstritten.

Skeptiker dämpfen Optimismus

Skeptiker zweifeln den Effekt der tDCS zumindest bei Gesunden an. Shinichi Furuya und Eckart Altenmüller von der Musikhochschule in Hannover haben die tDCS an Pianisten getestet. Ihre Ergebnisse sind ernüchternd! Ungeübte spielten nach der Gleichstromstimulation tatsächlich besser, für Profis galt dies aber nicht. Ihre Anschlagsgenauigkeit verschlechterte sich eher. Noch laufen unzählige Studien, so dass abschließend nicht geklärt ist, wer die Oberhand behält – Optimisten oder Skeptiker.

Die Steigerung der eigenen geistigen Leistungsfähigkeit ist sicher ein verlockendes Szenario, doch würde es der Spezies Mensch auch gut tun? Wollen wir das Risiko minimieren, dass die Evolution das Experiment „Homo Sapiens“ einmal für gescheitert erklärt, sollten wir weniger unsere kognitive Leistung, sondern eher unsere Bewusstseinsqualität verbessern.

Don't be shellfish...Share on Google+Share on LinkedInTweet about this on TwitterEmail this to someoneShare on Facebook