Bald Realität, die künstliche Zunge

Wenn es nach der BRAIN AG geht, haben Sensoriker bald ausgedient. Als führender Akteur in der industriellen Biotechnologie will BRAIN Geschmacks- und Aromastoffe künftig mit einer „künstlichen“ Zunge aufspüren.

Laborarbeit bei BRAIN

Bei BRAIN forscht man an Geschmackszellen. Copyright: BRAIN

Sensoriker sind geschulte Geschmacksexperten. Ihr Arbeitsplatz sind die Laboratorien der Lebensmittelindustrie, wo sie tagtäglich nach neuen Geschmacks- und Aromastoffen fahnden – bis jetzt. Denn wenn es nach der BRAIN AG geht, gehören Sensoriker einer aussterbenden Spezies an. „ScreenLine Technology“ nennt das Unternehmen aus dem deutschen Zwingenberg seinen Durchbruch im Aroma-Screening. In fünf Jahren Forschung gelang BRAIN, woran sich mehr als 100 Teams weltweit bisher die Zähne ausbissen – eine Art künstliche Zunge zu entwickeln.

Mimose Geschmackszelle

Laut Michael Krohn, bei BRAIN für die Division BioActives & Performance Biologicals zuständig, hat die „ScreenLine-Technology“ aber nur am Rande Ähnlichkeit mit einer menschlichen Zunge, vielmehr handelt es sich um eine eher unspektakuläre Geschmackszelllinie, etabliert aus Geschmackszellen der menschlichen Zunge. Dass dieses Meisterstück bisher, trotz intensiver Forschung in diesem Bereich, noch Niemandem gelungen ist, hat mehrere Gründe: Die recht kurze Lebensdauer isolierter Geschmackszellen ist einer, ein anderer, die bis dato strikte Weigerung der Zellen sich unter Laborbedingungen zu teilen.

„Wir hatten neben der richtigen Isolierungsmethode und den passenden biotechnologischen und viralen Werkzeugen auch das nötige Quäntchen Glück“, kommentiert Krohn die einmalige Leistung. Siebzig Passagen hätte die unsterbliche Zelllinie bisher überstanden, ohne ihre Eigenschaften zur verlieren.

Geschmackspapillen sorgen für das richtige Mundgefühl

Geschmackszellen unter dem Mikroskop

Geschmackszellen unter dem Mikroskop. Copyright: BRAIN

Das, was landläufig als Geschmackserlebnis bezeichnet wird, ist aus wissenschaftlicher Sicht ein komplexes Zusammenspiel aus Geschmack, Geruch, Tast- und Temperaturempfinden in der Mundhöhle, und auch das Auge isst erfahrungsgemäß immer mit. Die molekularen Mechanismen bei der Entstehung der fünf Geschmacksrichtungen – sauer, süß, bitter, salzig, umami (pikant) – sind aber seit längerem aufgeklärt. Die unterschiedlichen, größtenteils auf der Zunge lokalisierten Geschmackspapillen sind Träger verschiedener Geschmacksrezeptoren.

Und während die Geschmacksrichtungen umami, süß und bitter durch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) vermittelt werden, ist sauer an den Ionenkanal PKD2L1 und salzig an den epithelialen Natriumkanal gekoppelt. Dem Bittergeschmack – im Laufe der Evolution für das Überleben der Spezies Mensch von entscheidender Bedeutung – kommt allerdings eine Sonderstellung zu. Mit 25 unterschiedlichen Rezeptoren kann der Mensch Bitterstoffe in den unterschiedlichsten Schattierungen wahrnehmen.

Bitterzelllinie ist erst der Anfang

„Wir haben menschliche Geschmackszellen durch eine einzigartige virale Technologie unsterblich gemacht und nutzen diese nun seit etwa einem Jahr für die unterschiedlichsten Fragestellungen“, erläutert Michael Krohn die Entwicklung. Ausgangsprodukt des etablierten Modellsystems seien Biopsien Geschmacksknospen tragender Pilzpapillen der menschlichen Zunge. Die daraus isolierten Geschmackszellen wurden mit einem ein Immortalisierungsgen tragenden Adenovirus in eine unsterbliche Zelllinie konvertiert.

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