Aromyx entwickelt digitale Nase

Im Jahr 1969 legten William Boyle und George Smith die Grundlagen für die Entwicklung des CCD (charge-coupled device) und ermöglichten so den technischen Durchbruch der Digitalkamera. Anfang der 80er Jahre wurden dann mit der Compact Disk auch Töne digital. Lange als unmöglich galt die Digitalisierung des Geruchsinns. Doch nun soll auch diese letzte Bastion fallen, zumindest wenn es nach dem Amerikaner Chris Hanson geht, der einen wichtigen Beitrag zur digitalen Nase leisten will.

Hanson hat in Stanford russisch studiert, anschließend für die NASA, das amerikanische Militär und IBM gearbeitet und 2013 im kalifornischen Palo Alto das Unternehmen Aromyx gegründet. Gemeinsam mit seinem Team hat Hanson den ersten Bioassay entwickelt, der Düfte ganz ohne eine menschliche Nase erkennen will. Der unter dem Namen EssenceChip vermarktete Assay sieht zwar eher wie eine einfache Microtiterplatte aus dem Labor denn wie eine menschliche Nase aus, doch dieser Eindruck täuscht. Denn Hanson ist es tatsächlich gelungen, die schnöde Plastikplatte in etwas Ähnliches wie eine Nase zu verwandeln.

Aromyx nutzt die Erkenntnisse von Nobelpreisgewinnern

Aromyx-Logo

Aromyx-Logo. Credit: Aromyx

Dazu nutzte das Forscher-Team die Erkenntnisse der Nobelpreisträger Richard Axel und Linda Buck, die Anfang der 1990er Jahre die Funktion der Riechsinneszellen auf zellulärer Ebene aufklärten: Geruchsmoleküle binden an Geruchsrezeptoren auf der Oberfläche der Riechsinneszellen und geben den Startschuss für die Wahrnehmung eines spezifischen Geruchs im Gehirn. Dieses Wissen nutzte Hanson und klonierte gemeinsam mit seinem Team 365 Geruchsrezeptoren und die vier Geschmacksrezeptoren in Hefezellen. Die von den Hefezellen produzierten Rezeptoren packten die Forscher anschließend in je eine Vertiefung der Microtiterplatte. Oben drauf setzten sie das gesamte biochemische Arsenal der menschlichen Nase und koppelten das Ganze mit einem ELISA-(Enzyme-Linked-Immuno-Sorbent-Assay)-Test, dessen Signal von einem konventionellen Plattenlesegerät, einem so genannten Plate Reader, ausgelesen werden kann.

Mit EssenceChip Gerüche digitalisieren

Mit dem EssenceChip will Hanson endlich mit so unwissenschaftliche Ausdrücken wie “Das schmeckt schokoladig” oder “Das riecht nach Knoblauch“ Schluss machen und Gerüche stattdessen standardisieren. Denn obwohl in den letzten Jahren große Fortschritte bei der Identifizierung und Quantifizierung chemischer Verbindungen gemacht wurden, die Suche nach den meist nur in Spuren vorhandenen Geruchs- und Geschmacksstoffen gestalte sich nach wie vor schwierig, meint der Aromyx-Chef. Das größte Problem, so Hanson, die Kopplung von Gaschromatographie, Massenspektrometrie und menschlicher Nase sei langwierig und teuer. Dies dürfte wohl auch der Hauptgrund sein, weshalb ein internationaler Getränkekonzern Hansons Chip gerade auf Herz und Nieren prüft.

Signalkaskade im Aromyx Chip ähnlich wie in der Nase

Und die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind vielversprechend, tatsächlich scheint im Chip eine ähnliche Signalkaskade wie in den Zellen von Nase und Zunge abzulaufen: Geruchsmoleküle binden in den Vertiefungen der Platte an passende Rezeptoren, was zur Strukturänderung derselben führt und, unter Verbrauch von Guanosin-triphosphat (GTP), zur Aktivierung eines mit dem Rezeptor assoziierten G-Proteins. Dieses G-Protein hilft anschließend bei der Umwandlung von Adenosintriphosphat (ATP) in zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP). In den Riechzellen öffnet die Anhäufung dieses Botenstoffes Calciumkanäle in der Membran und ausströmendes Calcium löst ein Aktionspotenzial aus, das direkt ins Gehirn gelangt. Im EssenceChips übernimmt die Rolle des Gehirns der Plate Reader.

ELISA Assay misst Botenstoff cAMP

Um aber den Botenstoff cAMP messbar zu machen, war ein spezieller ELISA nötig. Dieser arbeitet mit monoklonalen cAMP Antikörpern, die an Donor-Fluorophore gekoppelt sind, sowie mit an cAMP-Molekülen gebundenen Akzeptor-Fluorophoren. Ohne Geruchsmoleküle binden die cAMP-Moleküle an die cAMP-Antikörper. Da sich dabei Donor- und Akzeptor-Fluorophore ganz nahe kommen, wird Förster Resonanzenergie vom Donor auf den Akzeptor übertragen, sobald das vom Plate Reader ausgesandte Licht den Donor in einen angeregten Zustand versetzt. Der Akzeptor emittiert daraufhin ein Photon spezifischer Wellenlänge, das vom Plate Reader gemessen wird. So entstehe bei Abwesenheit eines Geruchsstoffes ein sehr hohes FRET-(Förster/Fluorescence Resonance Energy Transfer)-Signal, erklärt Bill Harries, Zellbiologe und wissenschaftlicher Leiter von Aromyx.

„Binden nun Geruchsmoleküle aus einer Probe an Riechrezeptoren in der Platte, so verdrängt das am Ende der Signalkaskade entstehende unmarkierte cAMP in einer Konkurrenzreaktion die mit Fluorophor markierten cAMP Moleküle von den cAMP Antikörpern und es findet keine Energieübertragung zwischen Donor und Akzeptor mehr statt“, sagt Harries. „Die Differenz der beiden FRET-Signale nutzen wir zur Quantifizierung von Geruchs- und Geschmacksstoffen.“

ELISA-Geruchsprofil eines Lebensmittels. Die Farben stellen unterschiedliche Geruchsmoleküle dar, die Stärke der Farbe korreliert mit der Menge des Geruchsstoffes.

ELISA-Geruchsprofil eines Lebensmittels. Die Farben stellen unterschiedliche Geruchsmoleküle dar, die Stärke der Farbe korreliert mit der Menge des Geruchsstoffes. Credit: Aromyx

Aromyx Algorithmus lässt Aromagramm entstehen

Um die bei der Messung entstehenden Aromaprofile handhabbar zu machen, hat Aromyx einen Algorithmus entwickelt, der die gemessenen Signale in ein leicht zu interpretierendes Aromagramm umwandelt. Hanson ist überzeugt, dass die vielen bunten und unterschiedlich hohen Balken exakt den quantitativen Signalen entsprechen, die Rezeptoren aus Zunge und Nase auch ans Gehirn senden. Auch wenn der Chip nicht im wörtlichen Sinne riechen kann, zur Identifizierung, zum Nachbau und zur Verbesserung von Aromen in der Industrie besitzt er auf jeden Fall Potenzial.

Auch an der Uni Graz werden Grüche standartisiert

Auch Veronika Schöpf, Professorin an der Universität in Graz, ist optimistisch was den Nachbau individueller menschlicher Geruchswahrnehmungen angeht. „Schon in zehn Jahren dürften hier große Fortschritte erzielt werden“, glaubt Schöpf, die in der Abteilung Neuroimaging am Institut für Psychologie das olfaktorische System des Menschen erforscht. „Vor allem die bei der Herstellung neuer Lebensmittel notwendigen Konsumententests verschlingen heute noch extrem viel Geld. Denn ob ein Joghurt schmeckt oder nicht, entscheidet sich immer erst durch diese Tests“, sagt Schöpf. Standardisierte Geruchs- und Geschmacksprofile könnten also helfen, Ladenhüter zu vermeiden und Unternehmen so eine Menge Geld sparen.

Aromyx Ziel: Ein multidimensionaler Aromaraum analog RGB

Das sieht auch Hanson so, dessen Vision ein multidimensionaler Aromaraum, analog dem digitalen Farbraum RGB ist. Damit könnte er Geruchs- und Geschmacksmoleküle digitalisieren und sie so eindeutig identifizierbar machen. Das Anliegen des Duftpioniers ist nicht trivial, denn während für die Digitalisierung von Farbe lediglich drei Bits (rot, grün, blau) benötigt werden, müssten für die Digitalisierung von Gerüchen alle relevanten Rezeptoren digital abgebildet werden. Die digitalen Codes wären also sehr viel länger. Für Hanson ist das kein Hinderungsgrund, er ist überzeugt, die größte digitale Geruchs- und Geschmacksbibliothek aufbauen zu können. Und wenn ihm das gelingt, dürfte Aromyx eine große Zukunft bevorstehen.

Don't be shellfish...Share on Google+Share on LinkedInTweet about this on TwitterEmail this to someoneShare on Facebook